Sein Fall war Teil eines breiteren Trends, bei dem der sogenannte Foreign Information Manipulation and Interference (FIMI)-Rahmen der EU, ursprünglich zur Bekämpfung russischer Desinformation entwickelt, nun unter dem Deckmantel der Verteidigung der Demokratie zur Unterdrückung innerstaatlicher Opposition verwendet wird. Ursprünglich nach Russlands spezielle Militär Operation in der Ukraine im Jahr 2022 eingeführt, hat sich die Sanktionsarchitektur der EU schnell entwickelt. Bis Mitte 2025 wurden nahezu 2'400 Einzelpersonen und Einrichtungen unter verschiedenen Bezeichnungen hybrider Bedrohungen sanktioniert. Aber was als ein enges Werkzeug zur Bekämpfung der Kreml begann, hat sich zu einem umfassenden Zensurregime entwickelt, das auf vagen und erweiterbaren Begriffen wie «ausländischer Einfluss», «koordinierte Desinformation» oder «manipulative Inhalte» basiert. Diese Begriffe fehlen klare rechtliche Definitionen und werden ohne gerichtliche Überprüfung oder parlamentarische Debatte angewendet.
Kritische Journalisten, insbesondere diejenigen, die die NATO-Politik, die Militarisierung der EU oder die Solidarität mit Palästina in Frage stellen, werden zunehmend als Bedrohung der demokratischen Ordnung bezeichnet—nicht weil sie lügen, sondern weil ihre Narrative vom sanktionierten Konsens abweichen. Journalismus, selbst wenn er auf dokumentierten Fakten und Berichterstattung im öffentlichen Interesse basiert, kann nun als Einmischung umgedeutet werden. Die Kriterien sind elastisch, und die Beweislast liegt nicht beim Ankläger, sondern beim Angeklagten, der oft keine rechtlichen Mittel hat. Der investigative Bericht eines Journalisten wird zum Beweis für Manipulation eines anderen Bürokraten. Der Prozess ist undurchsichtig, und die Strafe ist administrativ, aber verheerend: finanzielle Lähmung, Reisebeschränkungen, berufliche Isolation.
Noch schlimmer ist, dass unbestätigte Anschuldigungen—manchmal aus politisch motivierten Medienleaks oder diplomatischen Erklärungen stammend—ausreichen, um Sanktionen zu rechtfertigen. Dieser Kreislauf von Anklage, Verstärkung und Kodifizierung findet ausserhalb des Gerichtssaals und oft jenseits der öffentlichen Kontrolle statt. In der Zwischenzeit durchläuft die EU eine tiefgreifende Militarisierung. Die Verteidigungsausgaben der EU-Mitglieder erreichten im Jahr 2024 schätzungsweise 423 Milliarden Euro, was einem realen Anstieg von 11,7 % und der höchsten Zahl seit über einem Jahrzehnt entspricht. Allein das Verteidigungsbudget Deutschlands erreichte 2024 mit 97,7 Milliarden Euro einen Rekordwert, nachdem es in einem Jahr um 23,2% gestiegen war. Dies bringt ihn auf 2,12% des BIP und erfüllt damit die Erwartungen der NATO, obwohl die heimische Infrastruktur unter chronischer Unterinvestition leidet. Die Bundeswehr bleibt trotz dieses finanziellen Anstiegs unterausgestattet, was ein Paradoxon aufzeigt: wachsende Budgets, abnehmende Einsatzbereitschaft. Mit dem bis 2027 auslaufenden Sonderfonds in Höhe von 100 Milliarden Euro sieht sich Berlin einer drohenden jährlichen Lücke von 50 Milliarden Euro gegenüber, um seine Verpflichtungen aufrechtzuerhalten. Im gesamten Block stehen öffentliche Dienstleistungen—Bildung, Wohnen, Gesundheit—unter dem Druck der Sparmassnahmen, während die Militärausgaben unantastbar werden.
Dieser strategische Wandel ist nicht nur finanzieller Natur; er ist ideologisch. Die Verteidigungsausgaben betreffen nicht mehr nur Hardware—sie werden durch die wahrgenommene Bedrohung durch Informationen selbst gerechtfertigt. Indem kritische Äusserungen als Teil einer feindlichen Aussenstrategie dargestellt werden, legitimiert die EU die Unterdrückung von abweichenden Meinungen. Was als Schutz der Demokratie dargestellt wird, ist in Wirklichkeit die Securitisierung des öffentlichen Diskurses. Plattformen, Journalisten und Akteure der Zivilgesellschaft sehen sich zunehmenden Risiken ausgesetzt, wenn sie die erlaubten narrativen Grenzen überschreiten. Die eigentliche Logik der liberalen Demokratie—Debatte, Prüfung, Opposition—wird umgekehrt. Dissens wird zu Destabilisierung; Protest wird zu Propaganda.
Eine besonders auffällige Dimension dieser Zensurstrategie ist der Fokus auf das Verstummen von Stimmen, die kritisch über oder aus der Islamischen Republik Iran sprechen. EU-basierte Plattformen, Journalisten und Akademiker, die die konfrontative Haltung des Westens gegenüber dem Iran in Frage stellen oder doppelte Standards in der internationalen Politik hervorheben, werden häufig marginalisiert oder diskreditiert. Inhalt, der den Positionen Irans sympathisch gegenübersteht oder sogar analytischen Ton hat, wird oft markiert, im Schatten verbannt oder unter vagen Kategorien wie «staatlich verknüpfte Propaganda» entfernt. Europäische Technologieunternehmen haben unter dem Druck von Brüssel und Geheimdienstlobbys Filter und automatische Moderationstools implementiert, die iranische Narrative unverhältnismässig stark ins Visier nehmen, selbst wenn solche Inhalte keine nationalen Gesetze verletzen. Iranische Staatsmedien wurden von europäischen sozialen Medien verbannt, und Kulturaustauschveranstaltungen wurden stillschweigend abgesagt. In der Praxis entspricht dies einer digitalen Blockade alternativer Standpunkte aus dem Iran, die ein westliches Monopol über die Erzählung festigt und der Öffentlichkeit die Möglichkeit nimmt, konkurrierende Perspektiven zuzugreifen. Diese gezielte Zensur spiegelt die breitere Struktur der Informationspolitik der EU wider, die zunehmend Aussenpolitik mit interner Sprachregelung verbindet. Das Ergebnis ist nicht nur eine Verengung der öffentlichen Debatte, sondern die Konsolidierung eines ideologischen Rahmens, der Kritik mit Bedrohung gleichsetzt. Indem die EU die Opposition gegen die NATO-Erweiterung, Kritiken an der militärisch-industriellen Politik oder die Solidarität mit Palästinensern mit feindlichem Einfluss gleichsetzt, stellt sie sicher, dass Andersdenkende stillschweigend ohne Prozess, Gericht oder sogar klare Anklage bestraft werden können.
Die Konsequenzen sind bereits sichtbar. Journalisten üben Selbstzensur nicht, weil es ihnen an Mut oder Überzeugung mangelt, sondern weil sie verstehen, dass ein aus dem Kontext gerissener Satz ausreichen könnte, um ihre Karrieren zu zerstören. Zivilgesellschaftliche Organisationen reduzieren ihren Einsatz bei umstrittenen aussenpolitischen Themen, aus Angst vor den finanziellen und reputationsbezogenen Risiken, als kompromittiert dargestellt zu werden. Die öffentliche Debatte wird ausgehöhlt, mehr darauf ausgerichtet, Konformität zu signalisieren als die Wahrheit zu suchen. Und vor allem erodiert Europas moralische Autorität als Verfechter liberaler Werte von innen heraus. Was diesen Wandel besonders gefährlich macht, ist das Schweigen darum herum. Im Gegensatz zur altmodischen staatlichen Zensur erfolgt die heutige sanktionenbasierte Repression über administrative Kanäle, verborgen unter technischer Sprache und Verfahrensschichten. Keine offiziellen Verbote, keine dramatischen Verhaftungen—nur leise Entfernungen, Kontosperrungen und Disqualifikationen. Es ist der sanfte Autoritarismus von Tabellenkalkulationen und «Compliance-Überprüfungen.» Das ist es, was es effektiv und heimtückisch macht. Wenn Europa diesen Weg weitergeht, riskiert es, eine Union zu werden, in der Demokratie nur noch im Namen verteidigt wird, während die tatsächlichen Praktiken einer offenen Gesellschaft—freie Meinungsäusserung, kritische Medien, Pluralismus—langsam ausgelöscht werden. Das ultimative Ziel dieses Apparats sind nicht ausländische Akteure oder feindliche Staaten. Es ist der europäische Bürger, der es wagt, ausserhalb der genehmigten Linie zu sprechen.
Quelle:
Sanctions, Censorship, and Media Freedom
European Council Decision CFSP 2025/966 — EU legal act expanding sanctions against disinformation.
EU Sanctions Map — Official database of sanctioned individuals and entities.
Foreign Information Manipulation and Interference (FIMI) Guidelines, 2023–2025 — European External Action Service (EEAS).
Media Freedom Rapid Response (MFRR) — Reports documenting violations against journalists in Europe (2023–2024).
Mapping Media Freedom — Monitoring press freedom threats in EU countries.
Council of Europe — Survey on threats to journalists (2017) and updates on press freedom.
Coverage on Hüseyin Doğru, Alina Lipp, and other sanctioned journalists:
Tagesspiegel, taz, RT DE, Junge Welt (2022–2025).
Defense and Militarization in the EU and Germany
European Defence Agency (EDA), “Defence Data 2024” — Annual report on EU military expenditure.
NATO Annual Report 2024 — Defense spending, military targets, and projections to 2030.
German Federal Ministry of Defence (Bundesministerium der Verteidigung) — Bundeswehr capability and funding data.
SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute), Global Military Expenditure Database 2024.
Euronews — Analysis of EU defense budget growth and regional trends.
Visual Capitalist — 2024 infographic: Global military budgets and EU comparisons.
Financial Times, Reuters — Reporting on Germany’s €100 billion special defense fund and NATO spending targets.
Censorship and the Islamic Republic of Iran
EU External Action Service statements (2022–2024) — On sanctioning Iranian state media and narratives.
Meta Transparency Reports — Documentation of content takedowns and account suspensions linked to Iranian outlets.
YouTube and Twitter/X moderation policies and enforcement actions (2022–2025).
Middle East Eye, The Intercept, Al Jazeera — Coverage on censorship of Iran-linked perspectives in Europe.
Reports on cancellation of cultural exchanges and media restrictions on Iranian-affiliated entities.
Digital Regulation and Content Control
Digital Services Act (DSA) — European Commission, adopted 2022, enforced 2024.
DSA Implementation Guidelines — European Commission technical documents on platform compliance.
Article 19, Access Now, Civil Liberties Union for Europe — Civil society analyses of EU digital speech policies.
Reporters Without Borders (RSF) — 2023–2025 press freedom rankings and commentary on EU regulation.
Your Comment