Teheran (IRNA) - Das Gespenst eines umfassenden transatlantischen Handelskriegs ist zurück. Donald Trumps Ankündigung, ab dem 1. Juni Zölle in Höhe von 50 Prozent auf Einfuhren aus der Europäischen Union zu erheben, hat in wirtschafts- und diplomatischen Kreisen Schockwellen ausgelöst.

Von Hussein Pabarja - Dieser aggressive Schritt gefährdet eine der bedeutendsten Wirtschaftsbeziehungen der Welt – eine Partnerschaft, die ein jährliches Handelsvolumen von fast einer Billion Dollar trägt und eine zentrale Säule der globalen Wirtschaftsordnung bildet. Während die US-EU-Beziehungen lange von gegenseitiger Abhängigkeit und wirtschaftlicher Komplementarität geprägt waren, stellt Trumps Zollandrohung eine dramatische Eskalation dar. Es geht nicht nur um eine Grenzabgabe – die Maßnahme droht, das regelbasierte internationale Handelssystem zu erschüttern, das nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurde, um den Welthandel durch Vorhersehbarkeit, Gegenseitigkeit und institutionelle Zusammenarbeit zu sichern.

Historisches Gleichgewicht und persistente Handelsungleichgewichte

Ein langjähriges Ungleichgewicht im transatlantischen Handel steht im Mittelpunkt der aktuellen Spannungen. Im Jahr 2024 betrug der Handelsumsatz zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union fast 976 Milliarden US-Dollar. Güter im Wert von 605,8 Milliarden Dollar wurden von der EU in die USA exportiert, während die US-Warenausfuhren nach Europa lediglich 370,2 Milliarden Dollar betrugen. Dies ergibt einen Handelsüberschuss für die EU von etwa 198,2 Milliarden Euro. Ein Überschuss von rund 109 Milliarden Euro im Dienstleistungsbereich der USA steht im Gegensatz dazu - ein Ergebnis der dominierenden Stellung Amerikas in Finanzen, Technologie und geistigem Eigentum. Die genannten Zahlen reflektieren grundlegende strukturelle Unterschiede. Der Exportüberschuss der EU im Bereich des Warenhandels ergibt sich hauptsächlich aus hochwertigen Exporten – allein der Pharmasektor generiert einen Umsatz von 127 Milliarden Euro. Zusätzlich zu Maschinenbau sind auch Automobilhersteller wie Volkswagen und BMW zu erwähnen. Im Bereich des Dienstleistungsexports, vor allem in der digitalen Wirtschaft und im Finanzsektor, sind die USA hingegen besonders erfolgreich. Es gab schon seit langem politische Kontroversen über Ungleichheiten bei den Zöllen. Die EU erhebt einen Zollsatz von 10 Prozent auf US-Autos, während die USA europäische Fahrzeuge lediglich mit 2,5 Prozent besteuern. Auf leichte Nutzfahrzeuge erheben beide Seiten außerdem einen Aufschlag von 25 Prozent. Bislang wurden derartige Unterschiede innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO) diskutiert – bis dato.

Trumps Konfrontationskurs vs. Europas Institutionentreue

Die Vorgehensweise von Trump unterscheidet sich wesentlich von herkömmlicher Diplomatie. Anstelle von auf Gegenseitigkeit und Kompromiss zu setzen, setzt seine Regierung die wirtschaftliche Stärke des amerikanischen Marktes ein, um einen maximalen Druck auszuüben. Carsten Brzeski, ein Ökonom der ING, bezeichnet diese Taktik als "ökonomische Geiselnahme", die darauf abzielt, durch gezielte Risiken und Drohkulissen einseitige Zugeständnisse zu erzwingen. Die EU verfolgt eine zweigleisige Strategie. Auf der einen Seite präsentierte Brüssel ein großes Entspannungspaket im Wert von 50 Milliarden Euro, das die Beseitigung von Zöllen auf Industriegüter, gesteigerte Einfuhren von US-Flüssiggas (LNG) und eine intensivere Zusammenarbeit im Bereich Künstliche Intelligenz beinhaltet. Auf der anderen Seite gibt es eine Liste mit Gegenzöllen im Wert von 95 Milliarden Euro, die speziell auf politisch sensible US-Exporte wie Bourbon, Motorräder und digitale Dienstleistungen ausgerichtet sind. Auf diese Weise zeigt die EU, dass sie bereit ist, sich zu verteidigen. Diese Divergenz symbolisiert den grundlegenden Gegensatz zwischen zwei Weltanschauungen: Trumps transaktionaler Nationalismus im Vergleich zur regelbasierten Governance Europas. Washington nutzt Zölle als taktisches Druckmittel, während Brüssel darauf besteht, dass Verhandlungen innerhalb des rechtlichen Rahmens und der institutionellen Strukturen stattfinden.

Ökonomische Folgen und Reaktionen der Märkte

Ökonomen schlagen Alarm: Wenn Trump wirklich seine 50-%-Zölle einführen sollte, könnten beträchtliche ökonomische Verluste sowohl auf dieser als auch auf jener Seite des Ozeans drohen – mit globalen Konsequenzen. Der weltumspannende Geldzauberer (IWF) schlägt Alarm vor den Konsequenzen einer anhaltenden Handelsverwirrung: Die Gefahren für das Gedeihen, die Geldanlagen und die Preisschübe seien beträchtlich. Die Börsen zucken bereits nervös zusammen. Der DAX musste einen Verlust von 1,6 % hinnehmen, der Dow Jones fiel um 2,2 % in der vergangenen Woche, während die Apple-Aktie allein um mehr als 6 % sank. Insbesondere europäische Händler litten schwer: Die Anteile von Volkswagen und BMW sanken um beinahe 5 %. Der Euro musste gegenüber dem Dollar einen Verlust von 0,6 % hinnehmen, da die Sorge vor einer Rezession im Euroraum um sich griff. Die Reaktionen auf dem Markt enthüllen die immense Bedeutung eines potenziellen Risses im transatlantischen Handel. Die mächtigsten Wirtschaftszentren der Welt, die Vereinigten Staaten und die Europäische Union, könnten durch eine Zuspitzung der Lage die Versorgungsketten gefährden, die Preise für Verbraucher in die Höhe treiben und die Investitionen in wichtigen Sektoren wie Technologie und Verkehr erheblich beeinträchtigen.

Stärkung des inneren Zusammenhalts: Europas strategisches Gebot

Die Reaktion der EU auf externe Bedrohungen hat auch eine innenpolitische Dynamik hervorgerufen: eine kritische Überprüfung der eigenen wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit. Der IWF zufolge ist die regulatorische Fragmentierung in der EU mit einem versteckten Handelshemmnis vergleichbar, das Auswirkungen hat wie 45 Prozent Zölle auf Waren und unglaubliche 110 Prozent auf Dienstleistungen.  Um entgegenzuwirken, verlangt die Europäische Volkspartei (EVP) eine energische Vertiefung des Binnenmarkts. Zu den Prioritäten gehören die Modernisierung der Grenzinfrastruktur, die Öffnung geschützter nationaler Sektoren sowie der seit Langem stagnierende Ausbau der Kapitalmarktunion. Das Ziel besteht darin, Ineffizienzen abzubauen und die Wettbewerbsfähigkeit der EU in einer immer konfrontativer werdenden Weltwirtschaft zu erhöhen.  Die Botschaft aus Brüssel ist klar: Europa muss sich nicht nur gegen äußeren Druck verteidigen, sondern auch die interne Geschlossenheit und Flexibilität stärken, die seiner wirtschaftlichen Stärke zugrunde liegen.

Ein Hochrisiko-Konflikt mit globaler Tragweite

Mit dem geplanten Inkrafttreten der EU-Gegenzölle am 14. Juli nähern sich beide Parteien unaufhaltsam einem riskanten Scheideweg. Die Stadt Brüssel hat signalisiert, dass sie bereit ist zu verhandeln, jedoch gleichzeitig klargestellt, dass sie sich nicht unter Druck setzen lassen wird. Die bisherige Vorgehensweise von Trump legt nahe, dass er lieber politisches Theater als bedeutungsvolle Zugeständnisse bevorzugt - eine Tatsache, die Last-Minute-Diplomatie erheblich erschwert. Das Gedächtnis an das Jahr 2018 ist in Europa noch wie frisch gepflückte Erdbeeren im Sommer: Einst erließ Trump Zollgebühren auf Stahl und Aluminium aus Gründen der nationalen Sicherheit – eine Aktion, die zwar zum Teil rückgängig gemacht wurde, jedoch einen bleibenden Knacks im transatlantischen Vertrauenspakt hinterließ. Heute steht weit mehr auf dem Spiel. Es dreht sich nicht bloß um Handelsbilanzen, sondern um die Unversehrtheit einer Nachkriegsordnung, die auf solidem Vertrauen und geteilten Regeln gegründet ist. Während Trump und die Elite der Europäischen Union weiterhin wie zwei störrische Stiere aufeinanderprallen, zieht sich das Zeitfenster für eine friedliche Einigung langsam aber sicher zu. Eine finale Verhandlungsrunde, beispielsweise im Rahmen eines Wochenendgipfels inmitten der Krise, könnte noch in Betracht gezogen werden. Kommt er nicht zustande, könnte dies zu einer schmerzhaften Aushöhlung der transatlantischen Einigkeit führen, was sich auf die weltweiten Handelsregeln auswirken würde – weit über die nächsten Jahre hinaus.

In diesem geopolitischen Hochrisikospiel stellt sich die zentrale Frage:

Können die USA und die EU strategische Rivalität mit wirtschaftlicher Interdependenz in Einklang bringen – oder treiben nationale Egoismen und politische Inszenierung einen Keil zwischen die beiden Stützpfeiler der Weltwirtschaft?

Die Antwort wird nicht nur das Schicksal des Atlantikhandels bestimmen, sondern die künftigen Grundprinzipien des Welthandels insgesamt.

Quellen:

Eurostat – Trade in goods with the United States in 2024

https://ec.europa.eu/eurostat/web/products-eurostat-news/w/ddn-20250311-1

Eurostat – USA-EU: International trade in goods statistics

https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/USA-EU_-_international_trade_in_goods_statistics

European Commission – EU trade relations with United States

https://policy.trade.ec.europa.eu/eu-trade-relationships-country-and-region/countries-and-regions/united-states_en

Trade and Economic Security

https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/International_trade_in_services_by_partner

Financial Times – “Forget the US — Europe has successfully put tariffs on itself”

https://www.ft.com/content/13a830ce-071a-477f-864c-e499ce9e6065

Reuters – “EU awaits clarity from Washington on Trump’s 50% tariff threat”

https://www.reuters.com/world/china/eu-awaits-clarity-trumps-50-tariff-threat-2025-05-23/

Reuters – “Trump threatens new tariffs on European Union, Apple, reigniting trade fears”

https://www.reuters.com/business/apple-pay-25-tariff-if-phones-not-made-us-trump-says-2025-05-23/

Reuters – “Central Europe’s economies should reform to respond to slowing trade growth, IMF says”

https://www.reuters.com/markets/europe/central-europes-economies-face-risks-slowing-trade-tariffs-imf-warns-2025-03-11/

Reuters – “Cross-border challenges widen wealth gap between Europe and US, IMF study finds” (Nov 14, 2024)

https://www.reuters.com/world/cross-border-challenges-widen-wealth-gap-between-europe-us-imf-study-finds-2024-11-14/

Bloomberg – “Trump Threatens EU, Smartphones as Tariff Rhetoric Escalates” (May 23, 2025)

https://www.bloomberg.com/news/articles/2025-05-23/trump-threatens-a-50-tariff-on-eu-goods-starting-in-june