10.09.2024, 11:30
Journalist ID: 2387
News ID: 85592354
T T
6 Persons

Tags

Der schwindende Motor: Hat Deutschland seinen wirtschaftlichen Antrieb verloren?

Teheran (IRNA) - Deutschland, einst als Wirtschaftsmacht Europas bekannt, steht vor ernsten Herausforderungen. Im Jahr 2023 war es das einzige G7-Land, dessen Wirtschaft schrumpfte, und für 2024 wird ein Wachstum von lediglich 0,2 % erwartet das niedrigste unter den großen Industrieländern.

Von Hussein Pabarja

Dieser Abschwung ist auf mehrere Faktoren[i] zurückzuführen, darunter eine schrumpfende Erwerbsbevölkerung, ein Produktivitätswachstum von unter 1 % und eine unzureichende öffentliche Investition in die Infrastruktur. Zwischen 2018 und 2022 betrugen die öffentlichen Investitionen im Durchschnitt nur 2,3 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP), einer der niedrigsten Werte unter den wohlhabenden Ländern. Zudem wird die Zahl der erwerbsfähigen Menschen in Deutschland in den nächsten fünf Jahren voraussichtlich jährlich um 1 % sinken, was den wirtschaftlichen Druck weiter erhöht.

Auch die deutsche Energiepolitik steht in der Kritik. Die Entscheidung, während einer Energiekrise die Kernkraftwerke abzuschalten, hat das Land stärker von CO2-emittierenden Energiequellen abhängig gemacht. Zusammen mit der alternden Bevölkerung und der Abhängigkeit von Exporten hat dies die wirtschaftliche Position Deutschlands weiter geschwächt. Trotz dieser Herausforderungen hat die Regierung nur zögerlich in wichtige Bereiche wie Infrastruktur und digitale Technologien investiert, was laut Experten entscheidend ist, um den negativen Trend umzukehren. Ohne entschlossenes Handeln könnte Deutschlands Rolle als wirtschaftlicher Führer Europas in Gefahr geraten, was Besorgnis über die Stabilität der gesamten Region auslöst.

Deutschland könnte null Wachstum erwarten

Die Wirtschaftsaussichten[ii] für Deutschland im Jahr 2024 haben sich erheblich verschlechtert, da das Ifo-Institut seine Prognose für das BIP-Wachstum von 0,4 % auf 0 % gesenkt hat. Für 2025 wurde die Vorhersage von 1,5 % auf 0,9 % nach unten korrigiert. Experten warnen, dass schwache Produktivität und geringe Investitionen, insbesondere im Industriesektor, den Abschwung vorantreiben. Timo Wollmershäuser, Leiter der Konjunkturprognosen des Ifo-Instituts, sprach von einer „strukturellen Krise“ und verwies auf jahrelang stagnierende Produktivität und Unterinvestitionen. Auch die Nachfrage der Verbraucher ist schwach, mit einer Sparquote von 11,3 % im Vergleich zu durchschnittlich 10,1 % vor der COVID-19-Pandemie.

Die Herausforderungen Deutschlands gehen jedoch über die schwache Nachfrage hinaus. Das Land kämpft auch mit langfristigen Problemen wie einer alternden Bevölkerung, sinkender Exportnachfrage und wachsender Konkurrenz aus China. Die Energiekrise, die durch den russischen Einmarsch in die Ukraine im Jahr 2022 verschärft wurde, hat Deutschlands energieintensive Industrien stark getroffen. Obwohl die Energiepreise inzwischen gesunken sind, hat der Preisanstieg langfristige Folgen hinterlassen. Sander Tordoir, Chefökonom am Centre for European Reform, betonte, dass dieser Energieschock Unternehmen dazu veranlasst haben könnte, ihre Produktion in Deutschland zu überdenken, und hob die Verwundbarkeit des Landes gegenüber Energieschwankungen hervor.

Der Ifo-Bericht folgt auf mehrere Herabstufungen der Wachstumsprognosen für Deutschland im vergangenen Jahr. Die Prognose der Europäischen Kommission aus dem Mai sah für 2024 nur ein Wachstum von 0,1 % vor. Bereits Anfang dieses Jahres senkte die deutsche Regierung ihre Erwartungen von 1,3 % auf 0,2 % und passte sie später auf 0,3 % an. Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) erwartet für dieses Jahr ein Wachstum von 0,3 %, warnt jedoch, dass die deutsche Wirtschaft vor tief verwurzelten Problemen steht, darunter geringe Investitionen und schwache in- und ausländische Nachfrage, was eine vollständige Erholung in naher Zukunft unwahrscheinlich macht.

Jobkrise in Deutschland droht: Herausforderungen für die Industrie

Deutschland steht vor einer wachsenden Jobkrise[iii], insbesondere im verarbeitenden Gewerbe, das traditionell gut bezahlte Arbeitsplätze bot. Die Arbeitslosenquote ist 2024 auf 6 % gestiegen, nachdem sie 2019 noch bei 4,9 % lag. Trotz dieser Erhöhung bleibt der Wert unter dem Durchschnitt der Eurozone. Ökonomen warnen jedoch, dass die Lage schlimmer ist, als es scheint. Besonders der Rückgang von hochqualifizierten Arbeitsplätzen, insbesondere in der Automobilindustrie, bereitet Sorgen. Unternehmen kämpfen mit hohen Energiepreisen, sinkenden Exporten und der Umstellung auf Elektrofahrzeuge. Volkswagen und andere Unternehmen erwägen Entlassungen und Werksschließungen, wobei die Beschäftigung in der Automobilbranche bereits um 6,5 % im Vergleich zum Höchststand von 2018 gesunken ist.

Die Auswirkungen dieser Krise betreffen nicht nur die Automobilindustrie. Eine Umfrage ergab, dass 60 % der deutschen Zulieferer für Autoteile planen, ihre Belegschaft in den nächsten fünf Jahren zu reduzieren. Große Unternehmen wie Continental, SAP und Bayer haben in diesem Jahr über 55.000 Stellenstreichungen angekündigt, von denen einige außerhalb Deutschlands stattfinden. Auch in der Chemieindustrie, die rund 480.000 Menschen beschäftigt, bauen Unternehmen wie BASF aufgrund steigender Gaspreise ihre Aktivitäten im Inland ab. Gleichzeitig werden Umschulungsprogramme eingeführt, um betroffenen Arbeitnehmern den Übergang in neue Berufsfelder wie Robotik und Logistik zu erleichtern.

Trotz der Herausforderungen erreicht die Gesamtbeschäftigung in Deutschland mit über 46 Millionen Erwerbstätigen einen neuen Höchststand. Allerdings entstehen viele neue Arbeitsplätze in schlechter bezahlten Sektoren wie Gesundheit, Bildung und Kinderbetreuung. Obwohl diese Berufe essenziell sind, warnen Experten davor, dass der Übergang von der Industrie hin zu Dienstleistungsberufen zu einem zweigeteilten Arbeitsmarkt führen könnte. Dies könnte zu einem langsameren Lohnwachstum, wachsender Ungleichheit und höheren öffentlichen Ausgaben führen, da das Land zunehmend auf schlechter bezahlte Sektoren angewiesen ist.

[i] https://www.tradingview.com/news/invezz:4ff6e6c86094b:0-germany-s-economic-slowdown-the-sick-man-of-europe-once-again/

[ii] https://www.euractiv.com/section/economy-jobs/news/a-structural-crisis-german-growth-forecast-downgraded-to-zero-percent/

[iii] https://www.ft.com/content/b8dd41dc-4fd9-4673-8b07-6af70e7f4213

Ähnliche Nachrichten

Your Comment

You are replying to: .